BGH erteilt Schriftformheilungsklauseln eine Absage!

1. Sog. „Schriftformheilungsklauseln“ sind mit der nicht abdingbaren Vorschrift des § 550 BGB unvereinbar und daher unwirksam. Sie können deshalb für sich genommen eine Vertragspartei nicht daran hindern, einen Mietvertrag unter Berufung auf einen Schriftformmangel ordentlich zu kündigen (Fortführung der Senatsurteile BGHZ 200, 98 = IMR 2014, 155 = NJW 2014, 1087, und vom 30.04.2014 – XII ZR 146/12, IMR 2014, 330 = NJW 2014, 2102).
2. Es verstößt gegen Treu und Glauben, wenn eine Mietvertragspartei eine nachträglich getroffene Abrede, die lediglich ihr vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nimmt, sich von einem ihr inzwischen lästig gewordenen langfristigen Mietvertrag zu lösen (im Anschluss an Senatsurteile vom 25.11.2015 – XII ZR 114/14, IMRRS 2015, 1505 = NJW 2016, 311, und vom 19.09.2007 – XII ZR 198/05, IMRRS 2007, 2507 = NJW 2008, 365).

BGH, Urteil vom 27.09.2017, Aktenzeichen: XII ZR 114/16

Sachverhalt: Ein Vermieter hatte mit einem Mieter einen langfristigen Gewerberaummietvertrag abgeschlossen Der Mietvertrag enthielt u.a. folgende Schriftformheilungsklausel: „Die Parteien verpflichten sich gegenseitig, … jederzeit alle Handlungen vorzunehmen und Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem gesetzlichen Schriftformerfordernis gem. § 550 BGB, insbesondere im Zusammenhang mit dem Abschluss dieses Nachtrags sowie weiteren Nachträgen Genüge zu tun und bis dahin den Mietvertrag nicht unter Berufung auf die Nichteinhaltung der Schriftform vorzeitig zu kündigen.“ Kurz nach Abschluss des Mietvertrages vereinbarten die Parteien ohne Beachtung der Schriftform der §§ 550, 126 BGB eine Änderung der Wertsicherungsklausel dahingehend, dass sich die Miete nicht ab einer Veränderung von 10 Prozentpunkten, sondern ab einer Veränderung von 6% des Verbraucherpreisindexes ändert. Nach Erreichen der 6%-Schwelle wurde die Miete erhöht, die der Mieter auch bezahlte. Nach Ablauf von drei Jahren, aber noch während der Festlaufzeit des Mietvertrages, kündigt der Vermieter dem Mieter ordentlich mit der gesetzlichen Frist des § 580a Abs.2 BGB (spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahrs). Der Mieter beruft sich auf die Schriftformheilungsklausel.

Entscheidung: Der BGH stellte fest, dass die Änderung der Wertsicherungsklausel gegen die Schriftform verstieß. Zwar war der Mietvertrag selber in der erforderlichen Form geschlossen, aber es entspricht ständige Rechtsprechung des BGH, dass ein formunwirksamer Nachtrag den Mietvertrag „infiziert“, so dass auch der ursprünglich formwirksame Mietvertrag nicht mehr der Schriftform entspricht. Dies hat gemäß § 550 BGB zur Folge, dass die Vereinbarung über die Festlaufzeit unwirksam ist und der Mietvertrag grundsätzlich jederzeit ordentlich mit der gesetzlichen Frist gekündigt werden kann. Der BGH prüfte zunächst, ob die vereinbarte Schriftformheilungsklausel der Kündigung des Vermieters entgegenstehen könnte. Dies verneinte der BGH mit der Begründung, dass solche Schriftformheilungsklauseln immer – gleich ob ausgehandelt oder Allgemeine Geschäftsbedingung – unwirksam seien, da § 550 BGB als zwingendes Recht nicht umgangen werden dürfe. Der BGH entschied jedoch weiter, dass der Vermieter vorliegend trotz des Schriftformverstoßes nach Treu und Glauben gehindert sei, ordentlich zu kündigen. Er begründete dies damit, dass die Änderung der Wertsicherungsklausel dem Vermieter zum Vorteil gereichte, da es nach den bisherigen Indexgegebenheiten naheliegt, dass eine Preissteigerung innerhalb der Vertragslaufzeit um 6% eher eintritt als eine Änderung um 10 Indexpunkte oder ein Preisverfall um mindestens 6%. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass der Mieter nicht an einer Kündigung gehindert gewesen wäre.

Praxishinweis: Die Wirksamkeit der Schriftformheilungsklauseln war bisher unter Juristen umstritten. Mit Ausnahme des Treu-und-Glauben-Einwands besteht nun stets die Möglichkeit, jeden Mietvertrag, der die Schriftform des § 550 BGB nicht (mehr) wahrt, ordentlich zu kündigen. Das Urteil zeigt einmal mehr, dass beim Abschluss von langfristigen Geschäftsraummietverträgen und auch bei nachträglichen Änderungen von solchen Verträgen größte Vorsicht geboten ist. Jede Änderung des Vertrages sollte in einem formgerechten Nachtrag vereinbart werden. Die Infektion des Mietvertrages durch einen formunwirksamen Nachtrag ist gefährlich. Andersrum ist es jedoch auch möglich, einen formunwirksamen Mietvertrag durch einen formwirksamen Nachtrag zu heilen.