Außerordentliche Kündigung durch Auftraggeber gemäß § 8 VOB/B auch im Insolvenzfall des Auftragnehmers

BGH, Urteil vom 07.04.2016, Aktenzeichen: VII ZR 56/15

Sachverhalt: Werkvertrag über Errichtung eines Geschäftshauses unter Einbeziehung der VOB/B. Als der Auftragnehmer die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt, kündigt der Auftraggeber den Werkvertrag nach § 8 VOB/B. Der Auftraggeber macht im Anschluss die Mehrkosten einer Herstellung durch einen dritten Unternehmer gegen den Bürgen des Auftragnehmers geltend.

Rechtsfrage: Gemäß § 103 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter bei gegenseitigen Verträgen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil noch nicht vollständig erfüllt sind, ein Wahlrecht, ob er die Erfüllung der wechselseitigen Vertragspflichten verlangt oder ablehnt. § 119 InsO schützt dieses Wahlrecht, indem danach Vereinbarungen unwirksam sind, durch die die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird. Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) kann der Auftraggeber den Bauvertrag außerordentlich kündigen, wenn der Auftragnehmer die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat. An eine solche Kündigung knüpft § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) besondere, in § 649 BGB nicht vorgesehene Rechtsfolgen (Bezahlung nur der ausgeführten Leistung, Ersatz der Mehrkosten für Drittherstellung). Nach den Regelungen der VOB/B darf also im Insolvenzfall gekündigt werden, nach den Regelungen des Insolvenzrechts hingegen nicht.

Entscheidung Teil 1: Sowohl das in § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) vereinbarte Kündigungsrecht für den Fall des Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers als auch die in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) vereinbarten Rechtsfolgen dieses Kündigungsrechts sind trotz der Zielsetzung der Insolvenzordnung unter Berücksichtigung der besonderen Interessenlage der an einem Bauvertrag Beteiligten mit §§ 103, 119 InsO zu vereinbaren. Das Werkvertragsrecht sieht mit § 649 BGB bereits ein jederzeitiges Kündigungsrecht des Auftraggebers vor. Weiter entspricht das vertragliche Lösungsrecht des Auftraggebers gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) mit der Rechtsfolgeregelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) der besonderen Interessenlage der am Bau Beteiligten.

Entscheidung Teil 2: Die Abrechnungsregel des § 8 Abs. 2 VOB/B verstößt nicht gegen einen wesentlichen Grundgedanken des § 649 BGB und ist auch nicht unangemessen, ist also auch in AGB rechtswirksam vereinbar.

Entscheidung Teil 3: Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht die Einrede insolvenzrechtlicher Anfechtbarkeit gemäß § 242 BGB, § 146 Abs. 2 InsO, § 768 BGB entgegen.

Entscheidung Teil 4: Eine Vertragserfüllungssicherheit in Höhe von 10 % ist nicht nach § 307 BGB unwirksam: § 632a Abs. 3 Satz 1 BGB kann nicht entnommen werden, dass eine Vertragserfüllungssicherheit, die von einem Verbraucher – und mithin erst recht von einem Unternehmer – verlangt wird, nicht mehr als fünf Prozent betragen darf.

Kommentar: Der BGH hat eine wichtige Rechtsfrage geklärt. Die schnelle Kündigungs-Reaktion im Insolvenzfall ist dringend anzuraten. Ob der Bürge dann tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, hängt von der Qualität der Sicherungsklausel und der entsprechenden Bürgschaft ab, die viel zu häufig angreifbar sind.